Eine von mir höchst selbst angefertigte repräsentative Umfrage unter meinen Kollegen hat ergeben, dass etliche nach etwas über einer Woche des Stubenhockertums dem Wahnsinn anheimzufallen drohen. Außerdem geraten die Haare zusehends selbst bei jenen langsam außer Kontrolle, die für gewöhnlich stets adrett frisiert in Erscheinung zu treten wissen. Videokonferenzen finden mittlerweile explizit unter Einbeziehung des Nachwuchses statt, was nicht uneingeschränkt zur Meeting-Disziplin beiträgt, hier und dort aber kuriose Einblicke ins familiäre Treiben ansonsten stets mustergültig auftretender Kollegen erlaubt. Das andauernde Sitzen in für Dauerbenutzung nicht ersonnenen Kämmerchen und auf genauso unzweckmäßigem Mobiliar führt zu chronischen Haltungsschäden und die mangelnde Bewegung wirft genauso wie die riskante Nähe zum Kühlschrank schon ihre dunklen Schatten voraus. Dass die scheiß Fitness-tempel weiterhin geschlossen sind und man die Nachkommen nirgends zwischenparken kann, macht es überdies nicht besser.

Heute wäre dann also der Zenit der mentalen Möglichkeiten erreicht und was kommt nach dem Gipfel? Richtig, es geht bergab. Das dafür aber mit Schwung. Und weil wir ja mittlerweile schwerer geworden sind, zieht die Gravitation doller an uns… wie schön.

Das anhaltend gute Wetter der letzten Tage bringt übrigens gleich zwei Probleme mit sich:

  1. Verspürt man den anhaltenden Drang, Hintern und Visage vor die Tür schleppen zu müssen, was Social-Distancing-mäßig kein Problem ist, so lange man es alleine tut, aber mit den Obliegenheiten des Home Offices nicht unbedingt zu vereinbaren ist. Und
  2. muss ich dringend die Fenster putzen! Die Lust darauf hält sich im Gegensatz zum gerade besprochenen ersten Punkt in Grenzen, aber das Problem mit dem Home Office ist dasselbe.

Da wären wir also wieder bei der Prokrastination, die wir mit dem Ende des Studiums überwunden geglaubt hatten. Prokrastination ist ja etwas, das nerdige Programmierer nicht kennen, weil sie die Idee, sein Hobby zum Beruf zu machen, auf die Spitze getrieben haben. Umso trauriger stimmt mich der Gedanke an den einen Nerd, der sein Lebenswerk in Trümmern sieht. Jener nämlich, der die ganze Nummer mit dem Gesundheits- und Fitness-Tracking erfunden hat!

Bei Apple Health sitzt gerade eben solch ein verzweifelter Programmierer vor den Scherben seines Lebenswerks. Gerade hatte er sich noch auf die Fahne geschrieben, Hand in Hand mit Pokémon Go die Menschheit vor dem audiovisuellen Couchkartoffelsalat bewahren zu können und am nächsten Tag liegt alles in Trümmern! Die ganzen Dienste verzeichnen dieser Tage wahrscheinlich rekordverdächtige Negativtrends und irgendwer denkt, am System sei was defekt. Wenn ich einen Blick auf meine täglich abgeschlappten Schritte werfe, überkommt auch mich das kalte Grausen. Teilweise spielen sich da bloß dreistellige Zahlen ab, wobei ich mich selbst da schon Frage, wie ich sie zwischen Schreibtisch, Küche und Klosett zustande gebracht habe. Nach dem Ende der Krise wird die Fußbodenindustrie wohl ein unverhofftes Comeback feiern können, weil alle ihre Auslegeware ersetzen oder Holzfußböden abschleifen lassen müssen, um die Trampelfade zwischen den eben genannten drei Lieblingslokationen auszubügeln.

Die Nerds werden im Laufe der Krise übrigens die Weltherrschaft übernehmen und das muss ja nichts Schlechtes sein:

  • Die viralen Nerds bestimmen ja jetzt gerade unser aller Leben
  • Die medizinischen Nerds retten uns eben dieses
  • Die Programmier-Nerds haben in den letzten Jahren zum Glück vorgearbeitet, so dass das mit dem Home Office überhaupt aus dem Stand funktioniert. Bis auf die Nummer mit dem Videokonferenz-Overkill, aber dass wir alle mit den uns gegebenen Tools nicht umzugehen wissen, dafür können die Schöpfer ja nichts. Das Wort Schöpfer an dieser Stelle lässt übrigens Gedanken an ein gefühlt anderes Zeitalter aufkeimen, in dem ein junges Mädchen die Menschen vor dem Kaputtspielen der ihnen anvertrauten Schöpfung zu bewahren versucht, mit der wir auch nicht ordentlich umzugehen wussten. Wir schweifen ab.
  • Noch so eine Nummer, bei der das Nerdtum um sich greift: Wir gehen nicht mehr vor dir Tür und essen zu viele Fertiggerichte, weil wir über die Jahre verlernt haben, anständig zu kochen. Also ich nicht… konnte ich noch nie.
  • Ganz anderer Gedanke: 2021 wird es nur noch Filme aus dem Computer geben, weil man sich zum Drehen in diesem Jahr nicht mehr wird treffen dürfen.
  • Und last but not least, erreichen wir irgendwann den Kipp-Punkt, ab dem uns die Isolation nicht nur nichts mehr ausmacht, sondern wir alle zu pathologischen Misanthropen werden und wir nicht nur zu Hause bleiben sollen, sondern wollen, weil wir verlernt haben werden, wie man andere Leute überhaupt aus nächster Nähe zu benutzen hat.

In diesem Sinne! Schöne Grüße aus dem Keller! Bis bald!


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